Spuren im Sand und Meeresschaum

Einfach weitergehen

Sich auf neues Terrain zu begeben, erfordert immer Mut und vor allem Durchhaltevermögen. Besonders dann, wenn dieses Terrain die eigene Sichtbarkeit erhöht. Jede*r der/die mit seinem Können in der Öffentlichkeit steht oder etwas Neues präsentiert, erntet vielleicht Lob und Applaus, gleichzeitig geht er oder sie aber auch das Risiko ein, missverstanden, verlacht oder verrissen zu werden.

Besonders zu spüren bekommen das Künstler*innen, weil in ihren Arbeiten fast zwangsläufig ein Teil der Persönlichkeit zu sehen ist. Man kann nicht schreiben, malen oder anders kreativ sein, ohne etwas von sich preiszugeben. Damit ist man verwundbar und oft fällt es schwer, Kritik an der Arbeit von der Kritik an der eigenen Person zu trennen. Und oft ist es leider auch so, dass Kritiker*innen ganz bewusst dort ansetzen, wo es wehtut.

Aber nicht nur Künstler*innen erfahren das so. Im Grunde trifft es in unterschiedlichem Gewand auf uns alle zu und das ist ein Punkt, an dem ich immer sage, dass wir von Freischaffenden viel lernen können. Warum? Weil sie sich mit jedem neuen Objekt – ob nun Bild, Film oder Buch – erneut ins Feuer stellen. Sie haben auch keine Teflon Schicht, an der alles abprallt, aber die meisten verfügen über Strategien, damit umzugehen. Eine ist, die Angst vor Kritik nicht als Hürde, sondern als Teil des Prozesses zu begreifen.

Es gibt ein wunderbares kleines Buch von Mark Oliver Everett, dem Sänger von den EELs. Es heißt „Glückstage in der Hölle“ und er beschreibt darin sein von Tragödien gekennzeichnetes Leben und wie die Musik ihn gerettet hat, obwohl seine Karriere als Musiker alles andere als gradlinig verlaufen ist. Ziemlich am Ende vom Buch schreibt er: „Es passieren alle möglichen verrückten Sachen, aber ich gehe einfach weiter von einer Szene in die nächste, ganz egal was kommt. Ich bin wie eine Kakerlake. Ich gehe einfach weiter.“

Nun, man muss sich nicht wie eine Kakerlake fühlen, um weiterzugehen. Was Everett meint, ist eine weitere Strategie. Eben trotz der Kritik und der damit eventuell verbundenen Scham seinen Weg zu gehen. Vielleicht einen Moment zu schmollen, aber dann die Krone zu richten, den Staub aus den Kleidern zu klopfen und sein Ding zu machen. Zu Fallen ist nicht das Problem, so lange man wieder aufsteht. Oder, wie Winston Churchill es mal sinngemäß formuliert hat: Wer einmal mehr aufsteht, als er hinfällt, ist sowieso der wahre Künstler.

Wenn es eine Sache gibt, die ich an Menschen wirklich bewundere, dann ist es der Wille, aufzustehen. Sich trotz Gegenwind nicht entmutigen zu lassen, sondern immer wieder nach neuen Wegen zu suchen, um der eigenen Vision zu folgen. Meckern ist so leicht, sich im Drama verlieren oder aufgeben auch. Aber sind wir doch ehrlich: All das kommt einem Verrat gleich – einem Verrat an den eigenen Träumen und Idealen. Von der Berliner Schriftstellerin Frederike Frei stammt der kluge Satz: „Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen, ich schulde ihnen noch mein Leben.“ Jahrelang hing er, auf eine Postkarte gedruckt, an meinem Kühlschrank.

Und wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann ist es genau das, was mir in meinem Leben auch immer wieder dabei hilft, mich aufzurichten. Der Wille, dem zu folgen, was mir auf diese Reise, die sich Leben nennt, mitgegeben wurde. Und etwas zu verwirklichen, was in dieser Kombination niemand sonst verwirklichen kann. Dabei geht es nicht immer um etwas Großes – auch in kleinen Schritten steckt die Kraft der Authentizität.

Das bringt mich noch einmal zu Dr. Gabor Maté, dessen letztes Buch ich in einem anderen Beitrag vorgestellt habe. An einer Stelle erzählt er von einem Gespräch, das er mit Noam Chomsky darüber geführt hat. Es geht um die Frage, ob man der heutigen Zeit positiv gegenüberstehen kann. Chomsky antwortet: „Man muss Optimist sein, sonst könnte man genauso gut Selbstmord begehen. Also ja, natürlich bin ich Optimist. Man versucht sein Mögliches, um die Dinge zu verbessern; ob es möglich ist oder nicht, wissen wir nicht.“

In dem, was Chomsky sagt, steckt eine weitere Strategie: Anzufangen oder weiterzugehen, ohne die Aussicht auf Erfolg als Garantie im Gepäck zu haben. Scheitern als Option zu sehen und trotzdem an die eigene Gestaltungsfähigkeit zu glauben. Wenn uns das gelingt, zeigt sich auch das, was gestaltet werden will, in aller Deutlichkeit. Oder mit Maté: „Man kann nur kreativ sein, wenn man die Haltung hat: »Hier ist etwas möglich, egal wie es aussieht«.“ Mit dieser Haltung lässt es sich durchs Leben gehen. Sie verleiht Sinn und hinterlässt Spuren, statt Staub aufzuwirbeln.

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