„Was war das Mutigste, was du bisher gemacht hast?“, frage ich meinen Mann zwischen Abendbrot und Tatort. Er schaut auf, während er weiter gemütlich auf dem Sofa lümmelt und überlegt. „Kinder in die Welt zu setzen? Eine Firma zu gründen? Beim Bergsteigen, da gab es auch immer wieder waghalsige Aktionen, die auf jeden Fall Mut erforderten.“ Je länger er über diese Frage nachdenkt, umso mehr Ereignisse fallen ihm ein.
Ich überlege für mich, scanne die Vergangenheit durch und komme zu dem Schluss, dass es in meinem Leben DEN einen Moment auch nicht gab. Stattdessen viele Situationen, die mich herausgefordert haben. Die mich Grenzen überschreiten ließen. Bei denen ich die Angst zu versagen, zu scheitern, mich lächerlich zu machen, allein dazustehen, missverstanden zu werden oder vielleicht sogar jemanden zu verletzen, beiseite schieben musste. Denn, was gern vergessen wird: Mut ist nicht das, was wir ohne Angst tun, sondern das, was wir trotz der Angst angehen.
Von Seneca stammt der Satz: „Nicht, weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“ Auch das ist mir nicht fremd. Etwas zu UNTERdrücken, nach dem die eigene Seele ruft, BEdrückt auf Dauer. Da ist unsere Sprache sehr direkt. Mutlosigkeit bezahlen wir nicht nur mit einem schweren Gemüt, sondern manchmal auch mit unserer Gesundheit. Energie, die nicht in die Welt gebracht wird, kann sich innerlich entzünden. Natürlich ist das nicht mess-, wissenschaftlich auch nicht nachprüfbar. Es wäre auch falsch, im Brustton der Überzeugung zu sagen: „Bloß, weil du A nicht machst, darum hast du jetzt B. Das ist Schmarrn und setzt Menschen unnötig unter Druck. Nichtsdestotrotz lassen sich gewisse Korrelationen nicht unter den Teppich kehren.
Mut ist etwas Faszinierendes und mein Herz hüpft jedes Mal vor Freude, wenn ich jemanden sehe, dessen Mut belohnt wird. Ich meine, dass es kaum einen schöneren Anblick gibt, als die Freude im Gesicht eines Menschen, der seine Angst überwunden und etwas gewagt hat. Der aus seiner Begrenzung ausgebrochen ist und jedes Wenn und Aber hinter sich gelassen hat.
Viele Menschen sind auf der Suche nach dem Glück und ein Schlüssel dafür liegt im mutigen Handeln. Weil Mut uns lebendig macht. Und weil wir auch in Kauf nehmen, dass es schiefgehen kann. Wenn es dann doch gelingt, ist das ein Triumph, der sich in unser Gedächtnis einbrennt. Und von dem wir zehren können, wenn es mal nicht so gut läuft.
Manchmal sind die Gelegenheiten, mutig zu handeln, weniger spektakulär, als wir uns das vorstellen. Einen Fremden auf der Straße anzulächeln, mit Gewohnheiten zu brechen, ehrlich zu sein, zu sich zu stehen – all das erfordert Mut und man kann es tagtäglich immer wieder als neue Herausforderung betrachten. Der Lohn ist ein lebendiges Leben, das nicht nur einen selbst erfüllt, sondern andere mitreißt.
Mut tut nicht nur gut, er steckt vor allem auch an und steigt mit jeder Gelegenheit, wie schon Shakespeare wusste. Und wenn wir eine Sache in unserer Gesellschaft gerade brauchen, dann sind es Menschen, die mutig vorangehen. Die wieder Visionen haben, statt über die Verhältnisse zu meckern. Die nicht nur von einer besseren Welt träumen, sondern auch handeln. Machen ist wie wollen – eben nur krasser, weil mutiger.
Dabei kommt uns zugute, dass wir uns in Deutschland in einer sehr privilegierten Situation befinden. Die meisten von uns haben die Wahl. Können sich für oder gegen die Angst entscheiden. Viele andere können das nicht. Sie müssen ihre Angst überwinden, weil es ums Überleben geht.