Ein Gespräch mit Prof. Dr. Sebastian Seiffert
Die Veränderungen des Klimas schreiten mittlerweile unaufhaltsam voran. Man muss kein Wissenschaftler, keine Wissenschaftlerin mehr sein, um zu erkennen, dass Extremwetterereignisse nicht mehr die „Vorboten“ von etwas, sondern das neue „Normal“ sind. Wie gehen wir als Menschheit damit um? Haben wir noch Hoffnung?
Während die einen nicht müde werden, zu warnen, resignieren andere, ignorieren oder haben sich schon den „Ist ja eh alles egal“-Mantel angelegt. Dazwischen gibt es Menschen, die immer noch offen sind. Die zwischen Verzweiflung, Trauer, Akzeptanz und Gestaltungswillen hin und her schwanken und für sich einen Weg suchen. Genau für diese Menschen könnte Prof. Dr. Sebastian Seiffert ein Vorbild sein. Ein Anker. Jemand, von dem man lernen kann.
Denn Seiffert ist durch alle Phasen gegangen. Der Chemiker, genauer: Polymer-Physikochemiker, wandte sich vor drei Jahren mit einer Videobotschaft an seine akademische Fachgemeinschaft. Sein Ziel: Wachrütteln. Resonanz erzeugen. Seine Botschaft war eindringlich, und trotzdem passierte genau das nicht, was er sich erhofft hatte: Der Zuspruch blieb aus.
Seiffert postete ein weiteres Video, diesmal aus dem Oberharz, aus dem er stammt, und wo man im Hintergrund gut sehen konnte, worum es eigentlich geht. Eine zerstörte Landschaft, unzählige tote Bäume, ein dystopisches Abbild dessen, was uns erwartet, wenn wir beim Business as usual bleiben.
„Hoffnung gibt es nicht mehr. Es ist Akzeptanz. Ich ziehe zunächst mal den Vergleich zur Notfall-Medizin, den es im Klimakontext schon öfter gegeben hat. Von der Psychologin Lea Dohm habe ich mal den Begriff Klima-Notfall gehört, und der passt zunächst als Analogie zur Notfallmedizin ganz gut. Wir haben einen akuten Notfall, der ist bedrohlich, sogar lebensbedrohlich. Jedenfalls verlangt er ein sofortiges Handeln, mit dem was eben gerade da ist. Natürlich könnte man das besser machen, wenn man jetzt erst den OP sterilisiert und einen Fachmann einfliegt und noch irgendeine neue Methode entwickelt. Aber bis das alles greift, ist der Patient gestorben. Also heißt es, jetzt zu handeln. Mit dem, was man gerade hat, und im Nachhinein kann man schauen, welche langfristigen Therapien ergänzend wirksam wären.“
An dieser Stelle bemerkt Seiffert, dass so ein Notfall – bezogen auf das Klima – natürlich dennoch nicht bedeuten darf, dass demokratische Prinzipien ausgehebelt werden. Denn das ist ja auch der Punkt, auf den Rechtskonservative oder -libertäre gern aufspringen. Jene, die den Staat eigentlich am liebsten abschaffen wollen, sehen plötzlich die Demokratie in Gefahr, wenn Klimaschutzmaßnahmen angekündigt werden.
Aber zurück zum Notfall: Seiffert geht mit seiner Ansicht noch einen Schritt weiter. „Der Notfall-Vergleich ist gut. Doch auch er ist schon wieder nicht mehr aktuell. Wir können es nicht mehr aufhalten“, davon ist Seiffert mittlerweile überzeugt.
„Das, wovon wir heute reden, hätte schon vor Jahrzehnten passieren müssen. Ich bin inzwischen bei der palliativen Medizin angekommen. Ich stelle mir nicht mehr die Frage, ob man den Patienten noch retten kann, sondern ich suche Wege, einfach nur aus Menschlichkeit zu handeln.“
Für ihn ist dieser radikale Schluss kein Grund zu resignieren, also den Kopf in den Sand zu stecken oder jetzt erst recht drei Mal im Jahr in den Flieger zu steigen. Stattdessen fühlt er Akzeptanz und nimmt die als Ausgangspunkt für sein Handeln. „Ich bin also jenseits der Hoffnung, wenn du so willst. Ich bin dabei auch nicht in Furcht oder Depressionen, sondern ich habe für mich entschieden, in kürzeren Zeiträumen zu denken.“ Das ist ein interessanter Punkt. Menschen, die Akzeptanz empfinden, sind frei. Sie können zwischen den Polen wählen, ohne sich auf der einen oder der anderen Seite festzusetzen. Weder hängen sie im Unglück über die Situation, noch in der euphorischen Hoffnung fest. Wer frei ist, kann angemessen auf das reagieren, was ihm begegnet.
Seiffert schreibt und veröffentlicht regelmäßig. Weniger Fakten oder Aufrufe, sondern er spricht über seine Gefühle. Das ist ungewöhnlich für einen Wissenschaftler. Diese ziehen sich – wie Seiffert ja selbst feststellte – normalerweise gern in ihre akademischen Blasen zurück. Schreiben lieber Paper, debattieren in ihren Kreisen und wälzen Zahlen. Und plötzlich steht da einer von ihnen mitten in einem abgestorbenen Waldstück und ringt öffentlich um Fassung.
Das kommt an. Seine Videos erreichen mittlerweile Tausende in den sozialen Netzwerken. Besonders das, in dem er bei einem Zukunftskongress seine vorbereitete Rede über den Haufen geworfen und das ehrlichste Grußwort aller Zeiten gesprochen hat. „Ich hatte mir vorher eine schöne Rede überlegt, was man halt so Diplomatisches sagen kann bei so einem Anlass. Und natürlich mit der Intention, dass man versucht, die Leute mitzunehmen und ins Handeln zu kommen. Aber ich habe an dem Tag gewusst, dass ich das so nicht sagen kann. Stattdessen habe ich von meinen Gefühlen erzählt, und plötzlich war es im Hörsaal so mucksmäuschenstill, dass man die berühmte fallende Stecknadel gehört hätte.“
Das ist mittlerweile fast drei Jahre her und seither hat sich in der Realität nichts verändert. Weder hat die Politik angemessene Antworten auf das, was uns und den nächsten Generationen droht, gefunden, noch sind Millionen Menschen für ihre eigene Sicherheit und für ihren Schutz auf die Straße gegangen. Robert Habeck hat es treffend formuliert: Klimaschutz schützt nicht das Klima, sondern Menschen. Und wenn das nicht in Angriff genommen wird, dann können, nein dann müssen wir davon ausgehen, dass das nicht gewollt ist und dass wir es als Gesellschaft auch nicht wollen. Dass Lobby-Interessen eben immer noch höher bewertet werden als unsere Gemeinschaftsgüter, etwa saubere Luft zum Atmen, sauberes Wasser oder eine bewohnbare Erde.
Grund genug, zu verzweifeln? Und warum versteht es nicht jede*r?
Seiffert glaubt, dass die Allermeisten noch gar nicht so weit sind. „Ich denke, die Allermeisten stehen auf einer Zwischenstufe. Die haben vielleicht erkannt, wie die klimatische Situation des Planeten ist. Aber selbst da sind viele noch immer nicht.“
Als Antwort auf die Frage, warum das so ist, sieht er viele Erklärungsansätze. Natürlich ist da eine finanzstarke Lobby, greifen Verdrängungsmechanismen oder glauben viele, dass andere schon eine Lösung finden. Oder, dass die Menschheit es schon schafft, weil ja die Technik immer besser wird. Aber Seifferts Ansicht nach muss noch ein zweiter Groschen fallen. Nämlich der, dass wir schon jenseits der Punkte sind, wo man noch hoffen könnte. „Wir müssen unser magisches Denken ablegen. Auch ich selber bin da noch mittendrin.“
Die Lösung für das Klima kann der oder die Einzelne kaum bieten. Aber eine Lösung für die eigene Psyche. „Ich sage einfach: Jetzt, in diesem Moment ist es gerade gut. Deswegen ist dieser Moment erst mal schön“, so Seiffert. Er fährt fort, dass es erst aus dieser Haltung heraus Handlungsoptionen gibt. „Und die (Handlungen) machst du dann nicht, weil du dir erhoffst, dass sie was bringen oder sich was verschiebt, sondern einfach nur, weil es richtig und menschlich ist.“
Schaut man sich die Videos von Seiffert an oder liest auf seinem Blog, dann lässt sich erkennen, dass er durch verschiedene Gefühlszustände gegangen ist, bis er bei seiner jetzigen Haltung angelangt war. Es gab dazu schon Vergleiche zu den Trauerphasen, die die Expertin Elisabeth Kübler-Ross mal benannt hat. Seiffert sagt, dass diese verschiedenen Stadien von Wut, Verdrängung, Schock und Depressionen, die Trauernde durchlaufen, auch bei der Verarbeitung des Klimanotstandes auftauchen. Nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge.
„Aber am Ende landet man irgendwann in einer Akzeptanz. Und da landet man, wenn man durch diese harte Zeit gegangen ist und es geschafft hat, am Ende den Kopf über Wasser zu halten.“
Natürlich gab es bei ihm Höhen und Tiefen. Tage, an denen er gedacht hat, dass jetzt alles überwunden ist, nur um am nächsten Tag wieder tief drin zu stecken. „Ich habe mal den Satz gehört: ‚Trauer ist die tiefe Sehnsucht nach dem, was für immer verloren ist.‘ Das finde ich einen sehr griffigen Ausdruck. Dass man so eine Sehnsucht nach etwas hat, was es aber nicht mehr gibt, und was auch nie mehr zurückkommt. Und das ist eben das, wo man durchmuss.“
Ist das Resignation? „Nein. Auch keine „Ich stecke jetzt die Hände in die Hosentaschen“-Akzeptanz. Die gibt es vielleicht auch bei manchen Leuten. Bei jenen, die einfach sagen, dass sie eben noch so lange genießen, wie es geht. Die kommen aber nicht ins Handeln.“
Für Seiffert ist klar, dass es prinzipiell drei Wege zur erforderlichen Netto-Null-Emission von Treibhausgasen gibt: Demokratisch partizipativ, autoritär regulativ oder durch Kollaps und Zerfall. „Wir haben uns als Menschheit ziemlich offenbar für den dritten entschieden. Davon bin ich nicht mehr von abzubringen. Das könnte irgendwann in einem großen Hauen und Stechen enden. Oder wir können aufeinander aufpassen und Ressourcen teilen. Man kann letztlich immer die eine Sache tun, die ganz wertvoll ist: menschlich sein. Und da gucke ich, wo ich meinen Beitrag leisten kann.“
Neben diesem Beitrag plädiert er auch für eine andere Art der Kommunikation. Wobei man das nicht trennen kann, denn eins fließt in das andere über.
„Ich merke nur zusehends, dass diese positive Kommunikation, also beispielsweise dieses fast schon obsessive Hoffen auf erneuerbare Energien, nicht funktioniert. Wenn man jetzt sagt: Wir haben so viel Mega-Watt-Zubau an Photovoltaik oder Windenergie und so was, dann denke ich mir immer, dass das Jahr 2021 angerufen hat und seine Floskeln zurückwill. Natürlich ist so eine Aussage nicht falsch, und natürlich sind erneuerbare Energien prinzipiell und potenziell ein wichtiger Lösungsbaustein, aber beides ist kommunikativ betrachtet aus der Zeit gefallen. Wir müssen lernen zuzulassen, dass das physikalisch Nötige und das politisch Mögliche weit auseinanderliegen. Verdammt weit. Wer das akzeptiert, gerät auch nicht in die Gefahr zu denken, dass jemand anderes kommt, um den Planeten zu retten.“