Zwei Feuerwehrleute löschen einen Waldbrand, Klimakrise

Menschenbild und Klimakrise

Die Warnungen vor einem Klimakollaps werden immer eindringlicher, ein Extremereignis jagt das nächste und trotzdem ist der Mensch offensichtlich nicht in der Lage, mit einer Bedrohung dieses Ausmaßes angemessen umzugehen und adäquat zu reagieren. Im Gegenteil. Der Planet wird weiter ausgebeutet, die Emissionen steigen in Rekordschnelle auf Rekordniveau und dadurch ausgelösten Ungleichheiten nehmen zu. Die Transformationsforscherin Maja Göpel formulierte es so: „Je mehr sich die Sorge Bahn bricht, dass wirklich Grenzen des Reichtums erreicht werden könnten, desto schwerer scheint das Teilen zu werden“.

Da muss man noch nicht einmal auf die Global Player schauen, wie auf die Republikanischen Staaten Missouri und Louisiana, die aus dem, nun nicht für seine klimafreundliche Agenda bekannten, Investitionsriesen Blackrock Milliarden Dollar abgezogen haben, weil Blackrock ihnen angeblich zu nachhaltig war. Nein, es reicht ein Blick vor die eigene Haustür: Viele kennen die Ambivalenz – die Welt lockt, man will reisen, will etwas erleben, will Spaß. Und immer, wenn man etwas tun, von dem man ganz genau weiß, dass es eigentlich klimaschädlich ist, haben die meisten zwar ein schlechtes Gewissen, machen es aber oft trotzdem – eine kognitive Dissonanz entsteht.

Diese kognitive Dissonanz drückt sich zugespitzt in dem Umstand aus, dass die mitfühlende Anteilnahme, die Eltern ihrem Nachwuchs entgegenbringen, offenbar dann endet, wenn es darum geht, in Hinblick auf den Klimawandel das eigene Verhalten an den Zukunftsaussichten der nachfolgenden Generationen auszurichten. Wer sein Kind aus Sicherheitsgründen mit dem Auto zur Schule fährt, dabei behauptet, nur das Beste für das Kind zu wollen, steckt mittendrin in dieser Dissonanz. Die im Übrigen nicht auf ihn selbst beschränkt bleibt. Aus kognitiver Dissonanz wird schnell pluralistische Ignoranz. Dann liegen wir nicht nur mit unserer Einschätzung uns gegenüber falsch, sondern übertragen diese auf die Gesellschaft.

Die Menschheit sägt am Ast, auf dem sie sitzt. Da lässt sich berechtigterweise die Frage stellen, was mit den Menschen nicht stimmt. Sind sie ignorant? Besessen von der eigenen Nutzenmaximierung? Sind sie todesmutig, gewillt, das eigene Ego über den Niedergang des Planeten zu stellen? Diesen Frage schließt sich eine weitere an: Ist der Mensch grundsätzlich so – also derart in seinen Schemata gefangen, dass er gar nicht anders handeln kann, als sich einen „F*ck you, Greta“-Aufkleber auf den Diesel-SUV zu kleben und mit einer „Ist doch sowieso schon alles egal“-Haltung über die Autobahn zu brettern, während Klimaforscher*innen auf der gesamten Welt angesichts unserer Trägheit und Ignoranz verzweifeln? Oder Regierungen zu wählen, die nachweislich gemeinsame Sache mit Organisationen oder Konzernen machen, die die Umwelt ausbeuten und zerstören?

Um diese Fragen zu beantworten, lohnt sich der Blick auf kollektive, wissenschaftliche und individuelle Vorstellungen über die Natur des Menschen. Ein breites Forschungsfeld, das sowohl die Psychologie, als auch die Neurowissenschaften, die Politikwissenschaft, die Soziologie, die Geschichte, die Philosophie, die Theologie, die Kulturwissenschaften und weitere, einschließt und ein eher düsteres und negatives Bild des Menschen ans Tageslicht befördert. „Dass Menschen von Natur aus egoistisch sind, ist ein Lehrsatz, der im Westen seit Jahrhunderten unterrichtet wird. Große Denker wie Thukydides, Augustinus, Machiavelli, Hobbes, Luther, Calvin, Burke, Bentham, Nietzsche, Freud und die amerikanischen Founding Fathers unterstützen die Fassadentheorie der Gesellschaft. Sie alle sind davon ausgegangen, dass wir auf dem Planet B leben.“, den der Autor dieser Zeilen, Rudger Bregman in seinem Buch „Im Grunde gut“ wie folgt beschreibt: „Auf Planet B kämpft jeder für sich allein. Totale Panik bricht aus. Es wird getreten und geschubst. Kinder und ältere Menschen mit Behinderungen werden niedergetrampelt“.

Unsere Natur?

Das hat Folgen, denn nicht nur die Wissenschaften beschäftigen sich mit dem Menschenbild, sondern im Grunde jede*r. Der Psychologe Steven Pinker schreibt: „Jeder hat eine Theorie über die menschliche Natur. Jeder muss das Handeln anderer antizipieren, und das heißt, dass wir alle Theorien über die Triebfedern des menschlichen Verhaltens haben müssen.“ Die Art und Weise, wie Menschen über sich selbst denken, prägt ihr Verhalten sowie ihre Urteile über das Gegenüber. Gleichzeitig spiegelt das eigene Menschenbild die Erwartungshaltung an andere Menschen wider. Beides – Urteil über sich selbst und andere und Erwartungshaltung – hängen eng zusammen. Die Krux ist, dass sich die wenigsten im Klaren darüber sind, dass es sich bei ihrer Antizipation um eine Annahme, also ein aus Eigen- und Fremderfahrungen gespeistes Bild handelt, dass also Stereotype reproduziert werden und die anschließende Reaktion oder Handlung von diesen Denkmustern dominiert sind.

Ich steige in das Flugzeug, weil ich denke, dass andere damit auch kein Problem haben, sonst wäre es ja nicht voll. Ich beschimpfe Greta Thunberg, weil ich denke, dass es ihr nur um Aufmerksamkeit und nicht um die Sache geht. Oder ich gieße den Baum vor der Straße nicht, obwohl ich weiß, dass es zu trocken ist, weil ich annehme, dass die Nachbarin, die das sonst immer tut, das schon erledigen wird. Ich schiebe es vor mir her, zu handeln. Oder ich stecke den Kopf in den Sand, weil ja sowieso schon alles zu spät ist. Im Grunde kulminieren alle Ausreden in: „Nicht ich, nicht jetzt, nicht so, zu spät“. Oder nochmal Maja Göpel: „Wir sind Gefangene eines Systems, von dem wir uns Freiheit versprochen haben und aus dem wir jetzt den Ausgang nicht mehr finden“.

Ob sich das individuelle Handeln auf das kollektive übertragen lässt, wie es unter anderem von Steven Pinker in „Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit“ oder bei Richard Dawkin in „Das egoistische Gen“ nachzulesen ist, ist allerdings fraglich oder wird zumindest aktuell zunehmend kritisch hinterfragt. Eher Konsens dagegen ist, dass institutionelle Rahmenbedingungen und tradierte Abläufe („Das haben wir schon immer so gemacht“), es erschweren, auf neue Pfade zu wechseln. Pfade, für die es noch keine Blaupause gibt, die noch nicht verinnerlicht, noch nicht automatisiert und damit häufig angstbesetzt und herausfordernd sind.

Vielleicht ist das, was wir heute erleben und was viele in einer Art Starre hält, aber auch nichts anderes als eine sich immer wieder selbst erfüllende Prophezeiung. Eine Endlosschleife reproduzierter Denkfehler, die wir tief verinnerlicht haben. Daraus würde folgen, dass wir neu denken, neu über uns denken müssten, um die notwendigen Veränderungen anzugehen.

Dass Menschen andere Menschen beurteilen, sich „ein Bild machen“, ist vermutlich genauso lange Teil unseres Seins, wie die Tatsache, dass wir atmen. Innerhalb einer Gemeinschaft, in der Individuen auf Kooperation angewiesen sind, um zu überleben, ist die Antizipation dessen, was die anderen tun oder denken, eine zwingende, existenzielle Voraussetzung. Das betrifft die Handlungen derer, die uns nahestehen ebenso wie die von Fremden. Obwohl die Annahmen darüber, wie der Mensch grundsätzlich ist – ob gewissenlos und egoistisch, altruistisch, kooperativ oder von Konkurrenzdenken getrieben – in der Zeit weit zurückreichen, beziehen sich viele Forschende, wenn es um die Frage, ob der Mensch grundsätzlich „gut“ oder „böse“ ist, auf zwei Denker: auf den Staatstheoretiker und Philosoph Thomas Hobbes und auf den Philosoph, Komponist und Naturforscher Jean-Jaques Rousseau.

Hobbes vs. Rousseau?

Da ist auf der einen Seite Hobbes, der im Mensch des Menschen Wolf sieht und einen Naturzustand beschreibt, in dem „die Menschen sich in dem Zustande des Krieges aller gegen alle befinden und jeder sich der Leitung seiner eigenen Vernunft überlässt“. Auf der anderen Seite steht Rousseau, der den Feind unter anderem nicht im Gegenüber, sondern in der eigenen Vergänglichkeit sah. Beide Denker gingen davon aus, dass die Menschen in einer Art Naturzustand gleich waren, ihre Beziehungen zu- und untereinander sich jedoch gravierend unterschieden, woraus sie unterschiedliche Schlüsse ableiteten. Während Hobbes‘ das Bild eines allmächtigen Herrschers, den Leviathan, entwickelte, unter dessen Gesetze sich die Menschen unterzuordnen hatten und der ihnen damit die Freiheit des Handelns zurückgab, fand Rousseau seine Antwort in einem Gesellschaftsvertrag der das Miteinander regeln sollte.

Hobbes’ Bild steht heute oft sinnbildlich für den (Raubtier-)Kapitalismus, in dem Menschen von Konkurrenz getrieben, ohne Rücksicht auf Verluste agieren, während Rousseau gern immer dann herangezogen wird, wenn es darum geht, romantische Zukunftsbilder zu entwickeln, in denen kleine Gemeinschaften in einem „anhaltenden Zustand kindlicher Unschuld“ leben. Wo die Vernunft „durch die Wirksamkeit der Leidenschaften“ nicht zerstört, sondern vollkommener gemacht wird.

Ganz so romantisch, wie es gern dargestellt wird, ist allerdings auch Rousseaus Menschenbild nicht, denn es gründet sich auf einer Annahme, die nach heutigem Wissenstand nicht belegt werden kann. Es gab diesen „Naturzustand“ schlichtweg nicht, demnach kann auch Rousseaus Konstrukt, die Verwandlung von Selbstliebe in Selbstbezogenheit innerhalb der Gesellschaft, so nicht abgeleitet werden. Interessant werden seine Gedanken allerdings in Hinblick auf das, was Erziehung zu leisten hat. „Wir werden schwach geboren und bedürfen der Kräft…