„Sein Traum von einem herrschaftsfreien Leben ist noch nicht zu Ende. Weshalb auch? Für Konstantin Wecker ist er die Wirklichkeit.“ Mit diesen Worten lädt Konstantin Wecker auf seiner Seite zu Utopia 2.0 – seinem Herbstprogramm ein. Bis zum 19. Dezember ist er damit noch unterwegs und erinnert uns daran, unsere Träume und Sehnsüchte nicht als Fantastereien abzukanzeln.
Als ich im August dieses Jahres mit ihm gesprochen habe, sind mir ein paar Sätze aufgestoßen, zum Beispiel, als er sagte, man hätte nicht ausreichend versucht, Russland entgegenzukommen, um damit den Krieg zu verhindern. Aufgestoßen sind sie mir deshalb, weil ich aus der Kenntnis der Politikwissenschaft heraus sagen kann, dass man seit Jahren nichts unversucht lässt. Nicht alles dringt an die Öffentlichkeit, nicht alles ist sichtbar.
Bei der inneren Auseinandersetzung, die ich nach unserem Gespräch hatte, ist mir aber etwas anderes klargeworden – vielen aus der „alten“ Friedensbewegung geht es nicht explizit um Russland, sondern um den tief verankerten Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit für alle, der immer wieder an seine Grenzen stößt, wenn Herrschende oder Autokraten wüten. Wie soll, wie kann man ihnen begegnen ohne den eigenen Pazifismus zu verraten? Wie kann man für Frieden auf die Straße gehen, wohlwissend, dass es Kriege gibt, die nur mit Gewalt beendet werden können? Die gesamte Friedens- und Konfliktforschung beschäftigt sich seit Jahren mit solchen Fragen. Auch damit, wie wir Gewalt befeuern, indem wir imperial Herrschende nicht in ihre Schranken weisen.
Aber es soll hier nicht um Politikwissenschaft, sondern darum gehen, dass nichts, aber wirklich auch gar nichts falsch daran ist, von Frieden und von einer besseren Welt zu träumen und dass wir uns immer wieder von Menschen wie Konstantin Wecker inspirieren und erinnern lassen sollten. Hier nun seine Antworten auf meine Fragen:
Lieber Herr Wecker, im Programm zu Utopia 2.0 steht: „Sein Traum von einem herrschaftsfreien Leben ist noch nicht zu Ende.“ Was hilft Ihnen, angesichts der aktuellen Katastrophen, die Hoffnung nicht aufzugeben? Also, woher schöpfen Sie immer wieder die Kraft?
„Meine Kraft schöpfe ich vorrangig aus der Kunst. Wenn ich zurückschaue, dann war das immer schon so, seit ich ein kleiner oder später ein pubertierender Junge war. Die Kunst gibt mir Hoffnung und Kraft, ebenso wie die Begegnungen mit einzelnen Menschen.
Wenn ich an meine Konzerte denke, dann fällt mir immer mehr auf, wie schön es ist, im Anschluss mit den Menschen zu sprechen und wahrzunehmen, dass ich ihnen mit meinen Liedern Mut mache, zu sich selbst zu stehen. Das ist also noch eine Antwort auf die Frage, was mir selbst hilft: mein Publikum. Vor ein paar Jahren bekam ich eine E-Mail, die symbolisch für das steht, was ich meine. Eine Frau schrieb mir:
„Lieber Herr Wecker, ich werde immer ausgelacht von meiner Familie und im Freundeskreis, weil ich mich für Geflüchtete einsetze. Jetzt war ich in Ihrem Konzert und ich verspreche Ihnen, ich engagiere mich weiter.“
Das ist eine wunderbare Rückmeldung, die mir zeigt, dass man mit Poesie und Musik Mut machen kann. So wie mir die Kunst eben auch immer schon Mut gemacht hat. Wissen Sie, als ich als junger Mann mit meinen kruden Ideen unterwegs war, wurde ich in der Schule und am Gymnasium gemobbt. Und dann dachte ich mir immer: Was wollt ihr eigentlich? Lest doch mal Dostojewski. Der hat das vielleicht besser geschrieben, als ich es ausdrücken kann, aber er hatte genau die gleichen Ideen. Lest Henry Miller, Georg Trakl, Rimbaud, Baudelaire – wen auch immer. Mich hat die Poesie mein Leben lang stets aufs Neue gerettet und sie hat mir die Kraft gegeben, weiterzugehen. Ebenso wie meine eigenen Gedichte. Das ist das Wunderbare, dass ich sie mir nie ausdenken musste. Auch meine Liedtexte sind mir einfach immer passiert.
Das klingt schön, da schließt sich eine andere Frage direkt an. „Der ewige Träumer“ werden Sie ja auch gern genannt. Gefällt Ihnen das?
Ja, es gefällt mir. In meinem Lied Utopia heißt es in einer Strophe: „Ihr lebt in einem Albtraum, doch mein Traum ist die Wirklichkeit.“ Das drückt sehr viel von dem aus, was ich unter Träumen verstehe – die Träume einer herrschaftsfreien Gesellschaft, einer gleichberechtigten Gesellschaft, einer liebevollen und nicht hass- und neiderfüllten Gesellschaft. Diese Träume sind ja nicht unrealistisch.
Sie wohnen in uns allen, nur werden sie uns leider zum Beispiel durch den Kapitalismus oder seit Jahrtausenden durch völlig paranoide Herrscher von Caligula bis Putin wieder ausgetrieben. Schaut man hin, sieht man immer denselben Typus Mann: narzisstisch, in Teilen geistesgestört. Aber wir? Wir folgten oder folgen ihnen. Damit das nicht passiert, müssen wir den Menschen Mut machen, zu ihren Träumen zu stehen. Ein Martin Luther King wäre ohne seine Träume nie zu dem geworden, der er war.
Nun hört man aber im Leben leider oft: „Schluss mit der Träumerei. Komm doch mal im normalen Leben an!“ Sie aber sagen: Der Traum ist das, was möglich ist. Werden wir konkret: Es ist jetzt 30 Jahre her, dass Sie zum ersten Mal „Sage nein“ gesungen haben. Aber wenn man sich so umguckt, also in drei Bundesländern ist die AfD die stärkste Kraft. Da hilft träumen nicht. Und sind Sie es manchmal nicht leid, immer wieder zu mahnen?
Ich sehe das fast ein bissch…