I’m Glad My Mom Died

Jennette McCurdy – Eine Buchrezension

Als Vertreterin der Generation X ist der Sender Nickelodeon, der von 1995 bis 1998 und später unter dem Namen Nick in Deutschland lief, komplett an mir vorbeigegangen. Insofern kannte ich auch den Namen der Autorin, die durch eine Serie auf diesem Sender in den USA unglaublich bekannt war, nicht. Und ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht mehr, wie ich auf das Buch gestoßen bin, aber ich kann vorwegnehmen, dass es mich tief bewegt hat.

Im Grunde dreht sich der Inhalt um ein einziges Thema: die toxische Beziehung der Autorin, Jennette McCurdy, zu ihrer Mutter. Eigentlich ist es, so herum geschrieben, falsch, denn das Toxische ging nicht von der Tochter, sondern von der narzisstischen Mutter aus. Die war darauf erpicht, ihre Tochter um jeden Preis berühmt zu machen. Mit acht Jahren bekam Jennette ihre erste Rolle und von da an ging es eigentlich mit ein paar kleinen Einbrüchen immer nur bergauf. Wer auf der Strecke blieb, war Jennette und wie schmerzhaft und körperlich krankmachend das alles war – darüber schreibt sie in ihrem Buch „I’m Glad My Mom Died“.

Selten habe ich ein Buch gelesen, das mich emotional so angefasst hat. Stellenweise war ich erschüttert, empört, fassungslos. Immer wieder überflutete mich tiefstes Mitgefühl mit der Autorin, mehr als einmal spürte ich den Impuls, sie aus dieser Hölle zu befreien. Ich habe immer wieder gedacht: Wie muss es erst dieser jungen Frau ergangen sein, wenn ich bei den Schilderungen schon an meine Grenzen komme? Und das ist die Triggerwarnung für alle, die vorhaben, dieses Buch zu lesen: Es geht um emotionalen Missbrauch. Und zwar ungeschönt. Es geht um Essstörungen, um Zwänge, darum, wie sich eine Mutter an der Tochter vergreift, ihr das Leben aufdrückt, das sie selbst führen wollte und wie sie damit der Tochter das Leben raubt.

Mutterbild vs. Realität

Nun leben wir in einer Welt, in der Mütter immer noch als „Heilige“ gehandelt werden. Das, was die Mutter tut und sagt, muss richtig sein, schließlich hat sie das Kind geboren. Dieser Sachverhalt reicht schon als Legitimation für alles, was Mütter tun. Wenn dazu noch ein Business kommt, in dem Missachtung, Übergriffigkeit und Narzissmus dominieren, ist der Giftcocktail komplett. Es grenzt an ein Wunder, dass Jennette McCurdy den Ausstieg geschafft hat und heute als Autorin und Drehbuchautorin erfolgreich ihren Weg geht. Mit ihrem Buch leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Entzauberung des Mütter-Mythos und zur Entheroisierung einer ganzen Branche. Auch wenn ihre Biografie ein Extrembeispiel ist – toxische und übergriffige Mütter sind keine Seltenheit und es ist ein Thema, über das grundsätzlich zu wenig gesprochen oder geschrieben wird.

Scham verhindert Aufklärung

Im Buch sowie bei aktuellen Debatten über Übergriffigkeit, kann man heraushören oder lesen, dass es meist Scham ist, die Opfer daran hindert, sich aus dem Klammergriff von Missbrauch zu befreien. Das Buch zeigt auf eindrückliche Weise, wie die Tochter ihre Mutter trotz der Verfehlungen und trotz des eigenen Leids immer wieder in Schutz nimmt. Ein Mechanismus, der sich häufig beobachten lässt und dem es Narzist*innen zu verdanken haben, dass sie straffrei davonkommen, in vielen Bereichen sogar steile Karrieren hinlegen und die Leichen, über die sie dabei gehen, auch noch für alles verantwortlich machen können. Meist gruppiert sich um sie herum ein System von Menschen, die Missbrauch decken, die wegschauen und den Opfern, die sich trauen, mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit zu gehen, entweder nicht glauben oder ihnen Publicity-Geilheit unterstellen.

Fazit zu I’m Glad My Mom Died:

Jennette McCurdy legt mit „I’m Glad My Mom Died“ den Finger ganz tief in eine gesellschaftliche Wunde. Ihre Ehrlichkeit und Offenheit ist beispielgebend. Das Buch ist in einer für das Thema noch irgendwie unterhaltsamen Sprache geschrieben, aber trotzdem schwer zu verdauen. Ich wünsche ihm ganz viele Leser*innen, damit solche Themen nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden und wir wegkommen von einer Gesellschaft, die ihre Held*innen zwar feiert, das Drama, das oft dahintersteckt, aber nicht sehen will.

Autor:in: Jennette McCurdy Foto: (C) Brian Kimskey