Podenco-Mischling auf der Straße

The same procedure

Wo fängt man eigentlich an, wenn man das Gefühl hat, dass alles außer Kontrolle gerät? Wenn Gewissheiten plötzlich keine Gewissheiten mehr sind? Wenn scheinbar alle durchdrehen oder verrückt geworden sind?

Für solche Zeiten ist es gut, einen Hund zu haben. Vielleicht tut es eine Katze auch, aber der Hund verfügt über Eigenheiten, die einen glauben lassen, dass alles noch beim Alten ist.

Zum Beispiel will mein Hund immer um dieselbe Zeit fressen. Er bekommt zwei Mahlzeiten am Tag – eine morgens und eine zweite gegen 14:30 Uhr. Vorher drehen wir allerdings noch eine Runde. Wenn nichts Besonderes ansteht, praktizieren wir dieses Ritual Tag für Tag. Seit nunmehr 15 Jahren.

Das heißt, wir haben damit angefangen, während Obama schon Präsident der Vereinigten Staaten war. Wir haben es fortgeführt, als Trump kam, als Trump von Biden abgelöst wurde und nun, da Trump wieder da ist, gehen wir immer noch Gassi. Wir haben die Runden gedreht, als der Arabische Frühling noch im Gange war, als Putin die Krim an sich gerissen hat, als Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten zurücktrat, als der NSU mordend durch Deutschland gezogen ist und die Briten nicht mehr zur EU gehören wollten.

Als die AfD gegründet wurde, hat Nicky zum wahrscheinlich 12.954. Mal sein Bein an einer unserer Kiez-Laternen gehoben, als Angela Merkel 2015 „Wir schaffen das!“ gesagt hat, sind wir auf unserer Runde vielleicht dem „Hasshund“ begegnet – dem Wuschel, der wie ein Beau oder Geck stolziert und meinen Hund damit provoziert. Das ist allerdings schon die größtmögliche Aufregung. 

Und so sind wir wieder und wieder um Straßenecken gebogen, ist der Hund die Treppen hochgerannt, hat sich aufgeregt vor der Wohnungstür gedreht, um sich dann wie ein ausgehungertes wildes Tier auf den Fressnapf zu stürzen. Seit 15 Jahren tut er das. Jeden Tag.

Und während ich gerade überlege, was in den drei Stunden, in denen ich mal keine Nachrichten gehört oder gelesen habe, passiert sein könnte, liegt er in seinem Körbchen, und schläft. 

Wir sollten alle mehr Hund wagen. 

Das tun, was uns guttut. Notfalls jeden Tag. Eine kleine Liste von Dingen, die helfen, hat der wunderbare Musiker, Komponist und Kolumnist Mark Scheibe in seinem letzten Newsletter zusammengefasst. Er empfiehlt, den Geist mit Naturbegegnungen zu erhellen, die gedruckte ZEIT zu lesen und Musik zu hören. Ich empfehle Euch zusätzlich, seine Kolumne „Sonntagskind“ zu lesen, denn das ist wirklich eine Freude.

Ansonsten hilft es auch, gut zu atmen. Tief zu atmen. Bis in den Bauch zu atmen. So wie mein Hund das macht. Tag für Tag. Seit 15 Jahren.