Martin Oetting ©Nick Scholey

Purpose – Interview mit Martin Oetting

Purpose ist ein Film, der seinen Anfang nicht erst mit dem ersten Schnitt oder dem ersten Drehtag hatte, sondern lange im Kopf von Martin Oetting gereift ist. Letztendlich ist er das Gefäß für all das, was Martin Oetting viele Jahre bewegt und umgetrieben hat. Für seine Fragen und seine Suche nach Antworten.

„Unsere Wirtschaftspolitik folgt seit Jahrzehnten einem defekten Kompass. So fährt sie uns immer tiefer in die Krisen unserer Zeit – ökologisch, sozial, politisch. Zwei Menschen wollen diesen Kompass austauschen. ‘Purpose’ erzählt, mit welchen Herausforderungen sie dabei ringen.“

1. Was hast Du, während Du den Film gedreht hast, gelernt bzw. erfahren – was war neu?

Ich tue mich schwer, das knapp zusammenzufassen. Es war unendlich viel und ich bin durch dieses Projekt ein anderer Mensch geworden. Ich habe begriffen, dass ich als Kulturschaffender (“Künstler” klingt auf Deutsch immer so selbstverliebt …) ein deutlich besseres und glücklicheres Leben führen kann als früher, als ich noch unkritisch im Marketing unterwegs war.

Eine fundamentale Erkenntnis zum Wandel in der Gesellschaft besteht wohl darin, dass die Veränderungen, die wir jetzt brauchen, damit einher gehen, dass wir millionenfach komplette Lebensläufe und Biografien infrage stellen. Daraus entsteht Reaktanz und Abwehr.

Ich nehme meinen Vater als Beispiel: Er hat 25 Jahre lang bei Volkswagen – innerhalb der ökonomischen Wachstumslogik – mit großer Freude an Verbrennungsmotoren gearbeitet und sehr viel Kreativität und gedankliche Arbeit investiert, um Verbrennungsmotoren und insbesondere Dieselmotoren besser, verbrauchsgünstiger, leistungsfähiger zu machen. An den Produkten, die daraus entstanden sind, hatten und haben Millionen Menschen Freude. Seine Identität ist noch heute die des Automobilingenieurs. Und nun soll er sich mit dem Gedanken anfreunden, dass sein Lebenswerk ein Werk des Teufels war? Mein Vater ist enorm reflektiert, selbstkritisch, interessiert. Daher erkennt er unsere Realität an – und genau deswegen ringt er nun mit seiner Vergangenheit.

So froh ich bin, dass mein Vater vor unserer Klimarealität und vor der Absurdität unseres Wirtschaftsmodells die Augen nicht verschließt, so sehr macht mich das auch traurig. Ich wünsche doch meinem Vater – der heute 87 ist – nicht, dass er auf sein gesamtes Leben zurückblickt und es als Irrweg ansieht. Wer wünscht sich das?

Es gibt sehr viele Leute, die zu dieser Art Revision ihrer eigenen Vergangenheit kein Stück bereit sind. Und ich kann es ihnen kaum verübeln, denn das ist ein unglaublich schmerzhafter Weg. Wenn also ein Herr Merz daherkommt und den Leuten erklärt, es sei alles gar nicht so wild und auch künftig seien Verbrennungsmotoren (und all die anderen Dinge, die höchst problematisch sind) eine feine Sache, dann kann ich den Menschen nicht verübeln, dass sie das auf eine ganz fundamentale Weise beruhigt. Und wenn man diese Rhetorik ins Extrem ausreizt, dann bekommt man eben Donald Trump.

Nur weil man nicht bereit ist, das eigene Leben komplett infrage zu stellen, ist man damit nicht automatisch ein schlechter Mensch. Dass man – wie die Herren Merz oder Lindner – in politisch verantwortlicher Position aus diesem enormen emotionalen Dilemma kurzfristig Kapital zu schlagen bereit ist, anstatt ernsthaft mit der Wahrheit zu hantieren, ist schon deutlich näher dran am schlechten Menschen. Aber auch für Lindner und Merz gilt natürlich dieselbe emotionale Wahrheit. Auch sie können nicht von der Logik lassen, die sie zu den Menschen gemacht hat, die sie sind.

2. Was bewegt Dich selbst, die Hoffnung nicht aufzugeben. 

Ich weiß nicht, ob ich viel Rat zu Hoffnung geben kann. Es ist nicht leicht mit der Hoffnung. Das einzige, was ich bieten kann, ist den Rat, nicht aufzuhören, weiterzumachen, um sich die Lust an der Wahrheit und am Leben zu erhalten. Damit man im Einklang mit der eigenen Haltung in dieser Welt agieren kann – ganz gleich, was da draußen gerade passiert oder nicht passiert. Noch können wir Wetter, Natur, Welt, Gemeinschaft, Schönheit erleben und genießen. Und es ist unsere Pflicht, das auch zu tun. Warum einen Kampf um Dinge kämpfen, die zu schätzen und zu lieben wir verlernt haben. Das hätte doch überhaupt keinen Sinn.

3. Was kann jede*r einzelne tun, um eine Verbesserung zu bewirken?

Ich würde dazu gern Folgendes empfehlen: Bei jedem Austausch mit anderen nicht das zu sagen, was man gerade dringend loswerden muss, sondern das zu sagen, was der oder die andere hören muss, um sich dem Wandel zu öffnen.

Das ist ein Riesenunterschied.

Ich habe kürzlich jemanden kennengelernt, der an einem bestimmten Datum im Jahr 2023 begriffen hat, wie absolut dramatisch die Lage in Bezug auf das Klima ist. Dass wir im Grunde seit gestern komplett klimaneutral sein müssten, dass allergrößte Eile herrscht und dass doch jetzt verdammt nochmal ganz viel passieren muss. Emotional ist mir diese Haltung komplett nachvollziehbar, ich hatte sie auch und habe sie noch immer.

Nur erzielt sie dann, wenn man sie ungefiltert an andere vermittelt, bei niemandem ein positives Ergebnis. Wenn er mit dieser Rhetorik auf Leute prallt, die sich bereits engagieren, verletzt er sie. Denn die Engagierten wissen, wie schlimm die Lage ist; sie tun bereits ihr Möglichstes. Und sie fühlen sich von diesem emotionalen Anschlag auf unangenehme Weise unter Druck gesetzt, weil er ihnen das Gefühl vermittelt, dass sie bei Weitem noch nicht genug tun. Wenn er damit aber auf Leute trifft, die den Ernst der Lage noch überhaupt nicht begriffen haben, dann verliert er sie sofort: Sie denken, er sei ein panischer Spinner.

Das heißt: Wenn man reden muss, um mit der eigenen Angst und Verzweiflung umzugehen, sollte man das mit engen Vertrauten oder auch mit professioneller Hilfe tun. Wenn man reden will, um Veränderung zu bewirken, sollte man sich maximal genau überlegen, was andere hören müssen, damit sie sich diesen Gedanken öffnen können.

4. Gab es schon Resonanz auf den Film, die Hoffnung darauf macht, dass durch ihn wieder etwas ins Rollen kommt?

Ich weiß ehrlich gesagt nicht so genau, wie es aussieht, wenn durch einen Film etwas ins Rollen kommt. Ich glaube nicht, dass man von einem Film erwarten kann oder soll, dass daraus direkt politische Resultate entstehen. Unser Film erzählt zunächst mal eine Geschichte. Er begleitet zwei Personen auf einem schwierigen Weg. Darin steckt eine implizite Einladung an das Publikum, sich mit diesen Gedanken und Ideen zu beschäftigen und eine eigene Haltung dazu zu entwickeln. Erstmal nicht mehr und nicht weniger.

Hinzu kommt, dass der Film manchen Leuten sehr gut gefällt, anderen aber gar nicht. Manche erwischt er genau auf die richtige Weise, andere finden ihn zu lang, zu kompliziert, zu weit weg von ihrer Realität. Das muss man auch mit einrechnen, wenn man sich über Wirkung Gedanken macht.

Aber natürlich bemühen wir uns, dem Film zu möglichst vielen Screenings zu verhelfen. Das ist derzeit der einzige Weg, dem Film zu einem Publikum zu verhelfen – wir haben keinen Sender oder Kinokette an Bord. Bei den Screenings organiseren wir danach Debatten oder Panels oder Fragerunden, aus denen hoffentlich vielen Menschen Ideen mitnehmen, was sie als nächstes tun können, um dem Wahnsinn, den wir hier betreiben, irgendwie Einhalt zu bieten.

Der Film ist Grund und Anlass für unerwartete Bündnisse, Gespräche, Inspiration, Begegnungen. Bevor wir den Berliner Premierenabend geplant und konkretisiert haben, hatte keine/r der Beteiligten eine Idee davon, dass sie am 25.11. zusammen auf der Bühne stehen würden. Eine Beteiligte sagte hinterher ganz begeistert, wie großartig es gewesen sei, der Vorsitzenden der Grünen mal ganz offen vor Publikum zu einem Thema ihre Gedanken mitteilen zu können.

Auch im Netz – für mich sichtbar vor allem auf LinkedIn, ich bin auf keiner anderen Plattform aktiv – gibt es sehr viel Resonanz. Mich freut das sehr und ich bemühe mich, gemeinsam mit meinem wunderbaren Kollegen Juan Pistone, die Welle nicht abebben zu lassen, sie weiter zu treiben. Damit aus jedem Impuls etwas Neues entsteht, damit viele kleine Bewegungen zu einer größeren Bewegung werden können, damit am Ende – ja, eben – doch etwas ins Rollen kommt.

Danke für das Gespräch.