„In der Kneipe ist man immer ein Genie“. Dieser Satz stammt aus einem Interview mit dem Regisseur Leander Haußmann, mit dem mich nicht nur eine DDR-Vergangenheit, sondern auch die Tatsache verbindet, dass wir beide dem Alkohol abgeschworen haben. Bei mir ist das jetzt ein Jahr und einen Tag her und dass ich – ohne dass es mir bewusst war – am Unabhängigkeitstag, also am 4. Juli aufgehört habe Alkohol zu trinken, könnte im Nachhinein betrachtet, passender nicht sein.
„Danke, nein“ zu sagen, wenn mir ein Drink angeboten wird, fühlt sich großartig an. Und das ist interessant, denn ich hatte, bevor ich aufgehört habe, immer das Gefühl, ohne Alkohol den Abend nicht überstehen zu können. Die Angst vor dem Verzicht war immens und darum lohnt sich der Blick auf das letzte Jahr, denn es hat mir gezeigt, wie unnormal es in unserer Gesellschaft ist, nicht zu trinken.
Ich bin mit Alkohol sozialisiert. Oder, um es noch einmal mit Haußmanns Worten zu sagen: „Trinken gehörte in der DDR zum Arbeitsalltag.“ Meine erste Flasche Wein habe ich mit 13 geöffnet bzw. von einem Kellner öffnen lassen. Und von da an, gehörte Alkohol ganz selbstverständlich zu meinem Leben. Haußmann sagt: „Man hat sich eben von Ost-Berlin nach Paris getrunken.“ Und damit hat er recht. Alkohol war für die meisten Selbsttherapie, um dem schnöden Ostleben zu entfliehen und ich denke, diese Aufgabe, beim „Entfliehen“ zu unterstützen, übernimmt der Alkohol auch heute.
Unabhängig davon, dass ich die Filme von Haußmann sehr mag, finde ich mich in vielem, was er in besagtem Interview über Alkohol sagt, wieder. Zum Beispiel, dass Alkohol zu trinken, für ihn eine lebensbejahende Geste war. Das Leben zu feiern, war auch für mich oft ein Grund, ein Glas mehr zu trinken. Und auch der Grund, warum er es gelassen hat, deckt sich mit meinem: Wir haben beide auf eine ähnliche Art gespürt, dass genau diese lebensbejahende Wirkung in eine Unfreiheit gekippt war.
Bei ihm zeigte sich das während eines Kinoabends in dem Drang, das Glas seiner Freundin auszutrinken, obwohl er gerade das eigene geleert hatte. Bei mir war es das seltsame Gefühl, mich immer häufiger über Gelegenheiten zu freuen, die mit Alkoholkonsum verbunden waren. Das fand ich derart schräg, dass ich – um meinem inneren Freiheitsdrang treu zu bleiben – zwangsläufig aufhören musste.
War ich abhängig? Rückblickend würde ich die Frage mit Ja beantworten, wobei nach dieser, also meiner subjektiven Messlatte, dann wohl mehr Menschen abhängig sind, als die Statistik vermuten lässt. Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele gar nicht mehr anders können, als den Alkohol dazu zu nutzen, sich das Leben einigermaßen erträglich zu trinken. Dass das nicht funktioniert, wissen alle, aber genau das ist ja das Teuflische an jedem Drink. Er verspricht Freundschaft und lässt dich allein.
Wie bitter das enden kann, habe ich im eigenen Familienkreis erfahren, als ein naher Verwandter es nicht mehr schaffte, mit dem Trinken aufzuhören und elendig zu Grunde ging. Was mich daran, ihm beim schluckweise Sterben zuschauen zu müssen, am meisten erschreckt hat, war der Verlust der Würde.
Ich habe in meinem Leben schon viele Menschen erlebt, die nach unseren Kriterien „ganz unten“ angekommen waren. Nie waren sie in meiner Wahrnehmung ohne Würde. Bei einem schweren Alkoholiker ist das anders und ich kann mich an kaum etwas erinnern, das ich unerträglicher fand, als hilflos und auf die Zuschauerbank verwiesen, diesem elenden Prozess ausgesetzt zu sein.
Ich bin heute glücklich darüber, keinen Alkohol trinken zu müssen, um mich lebensbejahend zu fühlen. Mir fehlt auch nichts mehr. Wenn ich, wie neulich in der Waldbühne, sehe, wie weit wir mittlerweile von einem „Genuss-Konsum“ entfernt sind, nehme ich das wahr und freue mich gleichzeitig über meine neugewonnene Freiheit. „Ich habe nicht mehr so viel Zeit zu vertrödeln“, antwortet Haußmann auf die Frage, wie sich seine Perspektive auf den Alkohol mit dem Alter verändert hat und ich finde, dass das ein schöner Grund ist, nichts zu trinken.
Alkohol ist in keiner Menge unbedenklich. Es ist ein Gift, das wir, wäre es nicht so hübsch verpackt und normalisiert, nicht freiwillig konsumieren würden, weil es unser Leben nachweislich verkürzt. Und wer will das schon, auch wenn der nüchterne Blick auf dasselbe, manchmal schmerzt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang Nathalie Stüben vorstellen, eine Frau, die seit acht Jahren nicht mehr trinkt und die mit ihrem Programm „OAMN – Ohne Alkohol mit Nathalie“ bereits vielen Menschen geholfen hat, aus diesem Trink-Irrsinn auszusteigen.
Nathalie arbeitet mit dem Wofür, also mit dem, wofür es sich lohnt, dem Alkoholkonsum zu entsagen. Man muss sich dazu übrigens nicht als „Alkoholiker*in“ fühlen. Es reicht schon, wenn ab und zu der Gedanke aufblitzt, dass es doch eigentlich zu oft ein Glas zu viel ist.
Wer ein Spiegel +Abo hat, kann den Beitrag „So gelingt ein Leben ohne Alkohol“ frei zugänglich lesen, ansonsten findet man Nathalies Programm und ihren Podcast auch problemlos im Netz. Und: Es lohnt sich. Ebenso, wie nüchtern durchs Leben zu gehen.