Politische Kunst: Eine Begegnung mit Horst Meister.
Der Rechtsruck in unserem Land ist besorgniserregend und treibt derzeit Tausende Menschen auf die Straßen. Überall, selbst in den kleinsten Städten, wird demonstriert. Trotzdem stellt sich die Frage, an welchen Stellen wir es in der Vergangenheit versäumt haben, klare Kante zu zeigen. Ich persönlich sehe die Kunst in einer Teilverantwortung, vermisse an vielen Stellen einen klaren Ausdruck und die Unterstützung derer, die sich schon engagieren.
Für manche Künstler stellt sich irgendwann die Frage: Will ich mit meiner Kunst Geld verdienen, den Kunstmarkt bedienen oder will ich mich als gesellschaftlich orientierter Künstler engagieren, politische Kunst in die Welt bringe und auf Zuwendungen, Förderungen etc. angewiesen sein. Einen Mittelweg scheint es nicht zu geben. Horst Meister hat sich für letzteres entschieden.
Die Werkbund-Buchreihe hat ihm einen Band gewidmet und der Herausgeber Prof. Dr. Roland Günter schreibt im Vorwort: „Der gesellschaftlich orientierte Künstler wird heute mehr denn je gebraucht. Es wäre widersinnig, wenn gerade in Zeiten, wo er relativ geschützt und in einer Demokratie agieren darf, sich mutlos oder gleichgültig oder unbeteiligt versteckt.“ Ich bin froh, dass Horst Meister sich nicht versteckt. Dass er sich auch im hohen Alter noch einmischt und mitgestaltet.
Lebensweg
Geboren wurde Meister 1937, trotz Armut konnte er die mittlere Reife machen, lernte den Beruf des Gebrauchsgrafikers und bewarb sich dann an der Kunstakademie Karlsruhe. Zwei Begegnungen haben seine Entscheidung, sich der politischen Kunst zu widmen, geprägt. Da war zum einen HAP Grieshaber, zum anderen Hans Herbert Michels, der Meister an das Theater heranführte. Dort lernte er auch seine Frau, die Schauspielerin und Sängerin Almut Grytzmann kennen.
Unser Aufeinandertreffen war eher zufällig. Für einen Text, den ich für Kunstleben Berlin geschrieben habe, wählte die Redakteurin das Bild „Unser täglich Brot“ von Meister aus. Ein Triptychon, das er dem Rüstungskonzern Rheinmetall Düssseldorf gewidmet hat.
Jahre später schrieb er mich an, fragte, warum wir uns für dieses Bild entschieden hatten. Ich wusste es nicht, aber die Gelegenheit, mit einem Mann zu sprechen, der sein Lebenswerk (Meister ist 86) der politischen Kunst gewidmet hat, die wollte ich nicht verstreichen lassen.
Und so ist dieses Interview entstanden und wir bekommen einen kleinen Einblick in eine Kunstrichtung, die nicht gefällig sein will. Die aufrüttelt und uns zeigt, wo die Menschheit sich in Sackgassen manövriert, wo sie sich verlaufen hat, aber auch, wo es Hoffnung gibt. Meisters Kunst ist – und an der Stelle möchte ich noch einmal Prof. Dr. Roland Günter zitieren: „aus Lebens-Erfahrungen, die unsere Epoche bestimmen“, geprägt. Er ist einer, der nicht weggeschaut hat, sondern sein Tun und seinen Ausdruck stets als Möglichkeit gesehen hat, Perspektiven zu zeigen, die schwer zugänglich sind und die wir trotzdem brauchen, um diese Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Das Interview
Herr Meister, wie geht es Ihnen mit den Protesten, die gerade landauf, landab stattfinden?
Wie oft im Leben ist es zwiespältig. Auf der einen Seite freue ich mich, dass der Wohlstandsbürger endlich aufwacht, von seinen Sesseln aufsteht und rausgeht um, um mal ein gängiges Wort zu nutzen, Flagge zu zeigen.
Auf der anderen Seite bin ich skeptisch. Ich sehe noch die Proteste gegen die Stationierung der Cruise Missiles und Pershing II in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Da waren zum Beispiel in Bonn auch eine halbe Million Menschen auf der Straße. Und damals wie heute stellte ich mir die Frage: Wo waren oder wo sind diese Menschen am nächsten Tag?
Sie sind nicht mehr da. Natürlich ist das alles gut gemeint, aber es hat Event-Charakter. Es gibt ein paar, die bleiben dabei, aber die führen einen einsamen Kampf, während für andere das Alltagsgeschäft wieder im Vordergrund steht. Trotzdem bin ich froh, dass überhaupt mal was passiert, dass mal Leute auf die Straße gehen für ihre Anliegen. Das alles ist wichtig.
Sie sind politischer Künstler. Politische Kunst hat für Sie einen hohen Stellenwert. Was hat Sie dazu motiviert, nicht den wohlgefälligen Kunstmarkt zu bedienen, sondern klare Botschaften zu vermitteln?
Ich bin Quereinsteiger. Nicht Querdenker, das bitte nicht. Quereinsteiger. Ich bin auf die Kunstakademie gegangen, musste parallel aber arbeiten, um Geld zu verdienen. So habe ich die allgemeine Atmosphäre der Akademie nicht mitgekriegt. In meiner Klasse waren Leute wie Walter Stöhrer, Dieter Krieg oder Horst Antes. Alles gestandene, heute auf dem Kunstmarkt sehr bekannte Leute.
Aber mein Weg war anders. Ich hatte gar keine Zeit, mich ernsthaft damit zu beschäftigen, den Kunstmarkt zu erobern. Für mich war es wichtig, mich da durch zu hangeln. Also bin ich zuerst als Bühnenbildner zum Theater und habe dann in den späten 60ern beim Fernsehen gearbeitet. Ich habe noch nicht gesucht, aber mir ist jemand begegnet, der jüdisch war und der mir mehr über die Hintergründe der Shoa erzählte. Sie müssen wissen, ich stamme aus einer sehr bürgerlichen Familie und da wurde über das alles nicht gesprochen.
Und so bin ich förmlich reingerutscht. Oder anders: Für mich gab es eigentlich gar keine andere Wahl, als zu versuchen, mir künstlerische Mittel zu suchen, die das ausdrücken, was ich empfunden habe. Ja, ich habe sehr früh gemerkt, dass das, was in Deutschland als Spätfolgen des Holocaust passierte, dass das grausam war. Und es hat mich angeekelt, diese bürgerlichen Ausflüchte, die schon sehr früh artikuliert waren.
Ich habe dann die Prozesse verfolgt, die wenigen, die es gab, und das hat mich in meiner Haltung bestärkt, dass das ja wohl nicht alles gewesen sein kann. Von da an war ich aktiv, habe mich mit Hintergründen auseinandergesetzt und mich parallel dazu aktiv bei Amnesty International engagiert. Also nicht nur einfach nur Petitionen unterschrieben, sondern ich habe zum Beispiel große Demos in Krefeld veranstaltet. Und so ist das gewachsen.
Das war also kein plötzlicher Entschluss, sondern ich habe entdeckt, auf welcher Seite ich stehe. Habe allerdings auch gemerkt, dass das mit dem Kunstmarkt nichts zu tun hat, was ich mache. Galeristen und Museumsleute, die haben freundlich lächelnd gesagt: Nein, bei uns nicht.
Das hat sich eigentlich bis heute nicht wesentlichen verändert. Aber ich will nicht kulturpessimistisch sein. Meine Frau, die Schauspielerin Almut Grytzmann und ich, wir sind jetzt seit ungefähr sechs, acht Jahren dabei, mit Museen in Kontakt zu treten, um den politisch künstlerischen Nachlass zu regeln. Und wir haben schon einige Leute gefunden, die sehr wohl etwas damit was anfangen können.
Aber das Gros, die großen Museen, die sind immer noch stur oder strikt auf dem Kunstmarkt-Level unterwegs. Und da werden sie wahrscheinlich auch noch ein paar Jahre bleiben.
Wenn wir uns die letzten Jahre angucken, auch den Aufstieg der der AfD. Glauben Sie, dass die Kunst es versäumt hat, Grenzen zu setzen. Oder ist es nicht Aufgabe der Kunst?
Doch, es ist Aufgabe der Kunst. Kunst besteht ja nicht nur aus Museen, sondern aus Künstlern und den Medien und was da alles sonst noch alles dazugehört. Bisher stand der Kunstmarkt im Vordergrund. Wenn wir wissen, wie die großen Ausstellungen in den, sagen wir mal, 90-ern und Nullerjahren in Deutschland finanziert wurden, dann war das durch die Großkonzerne. Bayer oder Mercedes haben die Kunst subventioniert. Natürlich auf hohem Niveau. Aber mit Politik hatte das nichts zu tun. Man setzte auf Bewährtes, Etabliertes, vielleicht auch damals (also zu ihrer Zeit) Kritisches. Die Verunsicherung der Gesellschaft, ohne die wir heute auch keine AfD hätten, wurde nicht sichtbar gemacht.
Wenn es dann passiert, wie jetzt durch den Bericht von Correctiv, sorgt das es plötzlich für Aufruhr. Dass das nicht schon vorher passiert ist, dass man mit der Wahrnehmung vieler Einzelner keinen „Trend“ gemacht hat, ist auch ein mediales Versagen.
Und die Politik macht in dieser Situation eigentlich die allerschlechteste Figur. Da geht gar nichts. Das sind Laien, die dorthin kommen, die ihre persönlichen Machtpositionen versuchen zu realisieren, auf Kosten der Allgemeinheit und mit ganz, ganz, ganz wenigen Ausnahmen. Aber die, die wahrscheinlich verzweifeln, steigen aus. Im Moment ist es grausam. Es ist oft ein einsamer Aufschrei, der dann irgendwie nach kurzer Zeit wieder verstummt. Das ist sehr deprimierend. Im Moment habe ich da keine Lösung.
Haben Sie denn selbst schon mal Anfeindungen erlebt?
Ich muss dazu zweierlei sagen. Aufgrund der Tatsache, dass sich die Medien sehr reserviert gegen politische Figuren verhalten und dass die Museen reserviert gegen politische Kunst sind, ist alles das, was ich in den letzten 15 oder 20 Jahren gemacht habe, nicht so sichtbar, dass viele davon Notiz nehmen.
Da gilt der alte Spruch: Auf das, was der Mensch nicht kennt, kann er nicht reagieren. Also wenn etwas nicht publiziert wird, gibt es auch keine Reaktion. Aber gerade deshalb ist unser Bemühen – egal wie alt wir sind–, Öffentlichkeit für diese Themen herzustellen. Nicht für uns als Personen, das ist unwichtig, sondern für die Themen, die ich habe.
Für mich gibt es drei Themen-Bereiche: meine persönliche innere Aufgewühltheit über die Folgen des Holocaust und aktuell der brutale und blutige Überfall der Hamas auf israelische Bürger am 7. Oktober 2023. Das zweite ist die Menschenwürde und alles, was damit zusammenhängt. Das dritte sind Naturzerstörungen und der Klimawandel.
Gibt es ein Projekt, an dem sie aktuell arbeiten?
Neben der Regelung meines künstlerischen Nachlasses beschäftige ich mich mit einem Thema, das hier für die NRW Region dramatische Folgen hatte: also der Braunkohle-Tagebau Garzweiler. Da arbeite ich jetzt gerade an einem größeren Bild.
Wer mehr über Horst Meister und sein Werk lesen möchte, bitte hier entlang: www.horst-meister.de oder hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Horst_Meister