Lagerfeuer am Strand von Lesbos

Für Co-Kreation

Mein Handy brummt. Eine Nachricht im Social Chat, der mich wie ein unsichtbares Band seit 2016 mit fast hundert Helfer*innen auf der ganzen Welt verbindet. Obwohl meine Einsätze auf der Insel Lesbos nun schon so lange zurückliegen, steht der Kontakt zu einer Gemeinschaft von Menschen, die sich von den Zuständen auf dieser Welt innerlich bewegen lassen und die für sich entschieden haben, etwas zu unternehmen. Egal, ob es aktiv vor Ort ist, im Hintergrund durch Koordination oder Medienarbeit.

Bei dem Gedanken an das Helfernetz, das sich über unseren Globus spannt, kommen mir immer wieder Pilze in den Sinn. Pilze sind faszinierende Lebewesen. Für uns weitgehend unsichtbar sind sie im Verborgenen über Tausende Kilometer mit Artgenossen oder anderen Pflanzen verbunden. Ihr Wesen ist die Symbiose, die Kooperation, die Zusammenarbeit. Eine*r allein kann es eben nicht schaffen und die Herausforderungen unserer Zeit rufen nach Ideen und Co-Kreation.

Ich bin froh, dass sich bei vielen immer öfter der Gedanke einschleicht, dass der radikale Individualismus ausgedient hat. Dass immer mehr Menschen verstehen und fühlen, dass er uns nicht gut tut, dass er unsere Welt zerstört. Es hinterlässt ein schales Gefühl, wenn man 10.000 Instagram-Follower, aber niemanden zum Reden hat. Und es bringt uns nicht voran, nach Freiheit zu rufen und nur die eigene zu meinen. Vulgärliberalismus nannte der Philosoph Jan Skudlarek das neulich in diesem Artikel und ich finde dieser Ausdruck trifft den Kern.

Ich gebe zu, dass ich manchmal mit Wehmut an die Hochgefühle zurückdenke, die mich förmlich überschwemmt haben, als ich aktiver Teil einer gut funktionierenden Gemeinschaft war. Und ich bin überzeugt, dass es eigentlich vielen so geht – dass sie kraftvolles Miteinander vermissen. Nicht nur jene, die bei der Jahrhundertflut Sandsäcke gefüllt haben oder die bis heute dem Motto „Wahre Patrioten geben Deutschkurse“ treu sind und mit ihrem „Gutmenschentum“ 2015/2016 innerhalb kürzester Zeit über alle Städte und Grenzen hinweg Netzwerke aufgebaut haben. Ohne diese helfenden Hände, wäre Angela Merkels „Wir schaffen das“ wie eine Seifenblase zerplatzt. Was bis heute fehlt, ist die Anerkennung. Und damit meine ich die Anerkennung des Wertes „gemeinsam“.

Dabei brauchen wir die Menschen, die sich einsetzen, mehr denn je, denn so ein LaGeSo haben wir im Grunde an allen Ecken unserer Welt – ob es der nun der Zustand der Erde, der Zerfall der Europäischen Idee, die Klimakrise, die Zerrissenheit in Deutschland oder das Gefühl vieler, abgehängt zu sein, ist.

Auf dem Weg zu einer neuen Gemeinschaft ist der reaktionäre Schritt zurück, den viele Populisten anbieten, also der Blick in eine romantisierte Zeit, die es so nie gab, ein großes Hindernis. Niemand kann das Rad der Geschichte zurückdrehen. Wohin auch? In die Wirtschaftswunderzeit? Oder in DDR-Zeiten, in denen es zwar weniger Müll, dafür aber Tote an der Grenze und Unterdrückung jeglicher Freiheitsbestrebungen gab?

Es gibt wahrhaftig bessere Alternativen. Und sie haben kein Blau/Türkis im Partei-Logo. Um sie zu verstehen, sind wir auf jene angewiesen, die das neue Miteinander bereits leben. Jene Menschen, die verstanden haben, dass ihr Sein und Handeln nicht nur auf den Radius der eigenen Genügsamkeit beschränkt ist, sondern durch eine globalisierte Welt Auswirkungen auf viele andere Menschen hat. Wir brauchen jene, die auch mal beherzt den eigenen Alltag über Bord werfen, wenn es darum geht, sich für andere einzusetzen. Die verstanden haben, welches Potential in einer vernetzten Welt steckt. Die „Entwicklungshilfe“ neu definieren, indem sie anderen nicht ihre Ideen überstülpen, sondern Raum für Entwicklungen lassen. Co-Kreativität ist ein sperriges Wort, aber es ist etwas, das wir allen Maschinen, seien sie noch so modern, voraushaben. Um Co-Kreativität zu leben, braucht es eine innere Haltung, die sich nicht von Abgrenzungstendenzen, Angst und Gefühlsabspaltung dominiert wird, sondern durch Offenheit, Mut und Mitgefühl.

„Wir müssen erwachsen werden.“ sagt die Transformationsforscherin Maja Göpel in diesem Interview. Das werden wir im besten Fall durch eine Erziehung, die die Bildung innerer Werte, wie Menschlichkeit, Mitgefühl und Herzenswärme integriert. Oder eine Gemeinschaft, in der diese Werte zählen. Oder um es nochmal mit Maja Göpels Worten zu sagen: „Wenn wir alle, inklusive der Wirtschaft und der Politik, jeden Tag neue Schritte wagen, entstehen daraus heute ungeahnte Möglichkeiten.“

Hinweis auf eine Verlosung:

Passend zu diesem Text gibt es eine Aktion, auf die ich gern aufmerksam machen will: Die Verlosung einer Bücherbox. Mehr dazu kannst Du unter diesem Link und in diesem Gastbeitrag der Bloggerin Elke Tonscheidt vom Ofamoos-Blog lesen.