Eiskristalle an einem Nadelbaum

Glatteis

Es ist kalt. Die Anzeige meines Außenthermometers schafft es seit ein paar Tagen kaum über die Null. Gestern dann doch für einen kurzen Moment und schon sind die Gehwege Dank Sprühregen eine einzige Eisbahn. Glatteis Alarm!!!!, titelt der Boulevard.

In meinem Kalender steht für heute „Joggen“. Großartig. Noch mit einem Lachgesicht daneben. Für die Motivation. Hätte ich nicht ahnen können, dass es an einem Donnerstag im Januar viel zu kalt und glatt zum Joggen ist? Wer um alles in der Welt, fasst denn solche Pläne? Und wer um alles in der Welt hat mir ausgerechnet heute diesen verfluchten Schweinehund in die Wohnung gesetzt?

Nur nicht schwachwerden.

Du wirst doch nicht vor so einem aufgeblasenen rosa Ferkel-Köter kapitulieren.
Du weißt doch, Joggen ist im Grunde nichts anderes als spazieren gehen auf einer höheren Ebene. Ich starre auf meine Turnschuhe und überlege, ob die Sohle nicht viel zu profillos für dieses Unterfangen ist. Irgendein verdammter Grund, nicht laufen zu müssen, wird sich doch wohl finden lassen.

Könnte nicht jemand anrufen?

Oder ein Nachbar klingelt und verlangt von mir, dass ich den Inhalt der Mülltonnen nach Farben sortiere? Ich warte, aber nichts passiert. Die Turnschuhe brüllen mich lautlos an, dass nicht sie, sondern ich profillos sei, während das rosa Untier in mir jubiliert. „Du läufst ja doch nicht, du faules, rückgratloses Stück!“

„Schnauze!“

Ich springe hoch, ziehe mir die Mütze tief ins Gesicht und schnappe mir die Schuhe.

„Arschloch-Schwein, dich lauf ich platt.“

Verwundert über meine eigene Courage trete ich auf die Straße. Eine Atemwolke trübt das Bild. Unbeirrt von den seltsamen Blicken der wenigen Passanten starte ich beinhart meine Runde.

„Du bist meine Heldin!“, denkt es in mir, während ich mich etwas steif, aber dafür mit allen Sinnen wachsam darauf konzentriere, nicht auf den Hintern zu fallen.

Boah, ist das glatt.

„Muss das wirklich sein? Ist es nicht absolut hirnverbrannt, bei Glatteis zu laufen?“ Der Schweinehund startet einen neuen Angriff, während ich Mühe habe, die eiskalte Luft in meine Lungen zu pressen. „Schließlich wäre es denkbar, dass du dir in der nächsten Sekunde sämtliche Handknochen brichst. Dann ist Schluss mit der Schreiben.“

„Risiko“ flüstert eine andere Stimme aus dem Off. 

Ich bin ein wenig überrascht.

Das muss der Gegenspieler von meinem Schweinehund sein. Ich wusste gar nicht, dass es in mir mehr als ein Tier gibt. Noch dazu ein scheinbar völlig skrupelloses, strebsames und mutiges Etwas. Ich habe keine Ahnung, woher das kommt.

„Vielen Dank!“ antwortet mein Schwein.
„Mach dich mal über mich lustig, du kleine Kamikaze…“

Ich stocke und überlege, wie wohl der Gegner von einem Schweinehund aussieht.

Ein Drachenpferd? Eine Feuergazelle? Eine Tigerameise?

Egal, jedenfalls redet sich…